Retinoblastom

Das Retinoblastom ist ein bösartiger Tumor in der Netzhaut des Auges, für dessen Entstehung Mutationen in beiden Allelen des Retinoblastom-Gens (lokalisiert auf Chromosom 13, Bande q14) die Grundvoraussetzung sind.Dieser Tumor geht von genetisch veränderten unreifen Netzhautzellen aus und führt unbehandelt zum Tode. Wird die Krankheit frühzeitig erkannt und therapiert, sind die Heilungschancen gut (ca. 95 % der Patienten werden geheilt). Da das Wachstum des Retinoblastom nur von unreifen Netzhautzellen ausgehen kann, kann dieser Tumor auch nur bis zum 5.
Lebensjahr auftreten. Auf 20.000 Lebendgeburten kommt etwa ein Krankheitsfall, was ca. 60 Fälle pro Jahr in Deutschland entspricht. In den USA rechnet man pro Jahr mit etwa 350 Fällen, weltweit geht man von 5.000-8.000 Neuerkrankungen pro Jahr aus. Zu unterscheiden ist eine erbliche von einer nicht-erblichen Form. Bei Mädchen und Jungen tritt der Tumor mit gleicher Häufigkeit auf. Abgesehen vom Menschen ist bisher keine Tierart bekannt, bei der ein Retinoblastom natürlicherweise auftritt.


Etwa 45 % der Patienten haben die erbliche Form des Retinoblastoms. Diese Patienten sind heterozygot für eine Mutation im Retinoblastom-Gen (erste Mutation). Diese Mutationen sind meist das Resultat von Neumutationen in der Keimbahn (Samenzelle bzw. Eizelle) eines Elternteils. Es liegt ein autosomal-dominanter Erbgang mit unvollständiger, aber hoher Penetranz vor. Dieser autosomal-dominante Erbgang ist insofern bemerkenswert, als er sich von sonstigen autosomal-dominanten Erbgängen deutlich unterscheidet. Zur Entstehung des Retinoblastoms müssen beide Allele für das Retinoblastomgen (RB1) mutiert sein, dies ist normalerweise eine Eigenschaft, die autosomal-rezessiv vererbte Krankheiten aufweisen. Im Falle des erblichen Retinoblastoms jedoch kommt es in nahezu 95 % der Fälle zu der zusätzlichen zweiten somatischen Mutation in Retinavorläuferzellen bei bestehender erster Mutation aller Körperzellen. Der mutationsbedingte Verlust des zweiten, normalen Allels in einer Vorläuferzelle der Retina löst die Entstehung des Tumors aus. Dadurch erscheint der Erbgang typisch autosomal-dominant mit nicht vollständiger, aber hoher Penetranz. Untersuchungen hierzu wurden von Alfred G. Knudson durchgeführt und 1971 veröffentlicht, nach ihm heißt diese Theorie zur Tumorentstehung „Zwei-Mutationen-Theorie nach Knudson“. Inzwischen geht man davon aus, dass ein dritter Faktor hinzukommen muss, damit es zur Tumorbildung kommt. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang beispielsweise Veränderungen in der Chromosomenstruktur, wie beispielsweise Zugewinne auf dem langen Arm von Chromosom 1 oder auf dem kurzen Arm des Chromosom 6.
Die meisten Patienten mit erblichem Retinoblastom haben Tumoren in beiden Augen (beidseitiges Retinoblastom). Heterozygote Träger einer Mutation im Retinoblastom-Gen geben diese mit einem Risiko von 50 % an die Nachkommen weiter. Bei Kindern, die eine solche Mutation geerbt haben, besteht ein sehr hohes Risiko für die Entwicklung von Retinoblastomen.
Etwa 55 % der Patienten haben die nicht-erbliche Form des Retinoblastoms. Bei diesen Patienten treten beide für die Tumorentstehung erforderlichen Mutationen in Körperzellen auf (somatische Mutationen), und zwar müssen beide Mutationen in ein und derselben Zelle vorliegen. Da es statistisch gesehen recht unwahrscheinlich ist, dass diese zweifache Mutation bei einem Kind unabhängig voneinander in Zellen der Retina beider Seiten passiert, ist das sporadische Retinoblastom selten bilateral. Fast alle Patienten mit nicht-erblichem Retinoblastom haben nur ein betroffenes Auge (einseitiges Retinoblastom).
Da das Retinoblastom meist bei jungen Kindern unter fünf Jahren auftritt, wird das Retinoblastom auch als Kindlicher Augentumor bezeichnet. Die Erkrankung wird bei Kindern mit beidseitigem Retinoblastom überwiegend früher als bei Kindern mit einseitigem Retinoblastom festgestellt; das durchschnittliche Alter bei Diagnosestellung liegt bei der unilateralen Form bei 23 Monaten, bei der bilateralen Form bei 12 Monaten. Etwa 10 % der Retinoblastome werden bereits kurz nach der Geburt diagnostiziert, innerhalb des ersten Lebensjahres etwa 50 %, und bis zum 3. Lebensjahr ungefähr 90 %.


Trilaterales Retinoblastom nennt man ein sehr selten vorkommendes erbliches Retinoblastom, das gemeinsam mit einem Hirntumor auftritt. Dabei handelt es sich um eine selbständige Geschwulst, nicht um eine Metastase. Die Histologie ähnelt der des Retinoblastoms; die Prognose ist für den Patienten relativ ungünstig.

Retinom bezeichnet einen gutartigen (benignen) Netzhauttumor, der in ungefähr 2 % der Patienten mit einer Mutation des RB-Gens auftritt. Es handelt sich dabei vermutlich um einen Vorläufer des Retinoblastoms oder um die Reste eines abgeheilten Retinoblastoms nach spontaner Regression. Die Histologie ist ähnlich der des Retinoblastoms.

Nicht selten fällt der Tumor durch sogenannte Leukokorie auf. Dabei wird das in das Auge einfallende (Blitz-)Licht nicht wie beim gesunden Auge von der Netzhaut mit der darunterliegenden Aderhaut reflektiert (dies ergibt das typische „rote Auge“ auf Photographien), sondern vom Retinoblastomgewebe (hierdurch kommt es zu einer weißlich-gelblichen Reflexion des Lichts, siehe Abbildung). Bei Retinoblastompatienten, die später durch andere Symptome klinisch auffällig werden, lässt sich nicht selten auf früheren Photographien bereits das Phänomen der Leukokorie beobachten. Liegt gleichzeitig auf dem Auge auch noch eine tumorbedingte „Blindheit“ (Amaurose) vor, so spricht man auch vom „amaurotischen Katzenauge“.
Neben der Leukokorie ist eine Schielstellung (Strabismus) der Augen das häufigste Symptom. Seltener findet man eine schmerzhafte Rötung des Auges, ein Glaukom (grüner Star), teilweisen Verlust des Sehvermögens, Entzündungen in der Augenhöhle (orbitale Cellulitis), sehr selten eine einseitige Weitstellung der Pupille (unilaterale Mydriasis), Verfärbungen der Iris (Heterochromie), weiße Irisflecken oder Blut in der vorderen Augenkammer (Hyphäma).

Die Chance auf Heilung sowie auf Erhalt der Sehfähigkeit ist sehr stark von der Ausbreitung des Tumors im und außerhalb des Auges abhängig. Hauptziel ist in jedem Falle die Rettung des Patienten, was auf eine vollständige Entfernung des Tumors hinausläuft. Wenn es möglich ist, versucht man dabei den Augapfel und möglichst viel von der Sehfähigkeit zu erhalten.


Bei fortgeschrittenem Krankheitsstadium kann der Tumor nur noch durch die Entfernung des betroffenen Auges vollständig beseitigt werden. Bei dieser Enukleation wird das Auge mit einem möglichst großen Teil des Sehnerven (über den eine Ausbreitung von Metastasen ins Gehirn möglich ist) operativ entfernt. Die Augenmuskeln und der übrige Inhalt der Orbita bleiben dabei erhalten. Tumor und Sehnerv werden im Anschluss an die Enukleation histologisch untersucht, um eine eventuelle Metastasierung feststellen zu können.
Im Anschluss an die Entfernung des Augapfels wird ein Implantat in die Augenhöhle eingesetzt, auf das eine Augenprothese aufgesetzt werden kann.

Das Retinoblastom reagiert äußerst sensibel auf Bestrahlung. Daher war die perkutane Strahlentherapie (Bestrahlung des Tumors durch die Haut unter Aussparung der Linse) über lange Zeit die Standardtherapie. Allerdings weiß man inzwischen, dass sich das Risiko für Sekundärtumoren durch die Bestrahlung (vor allem beim erblichen Retinoblastom und einer Bestrahlung im ersten Lebensjahr) um den Faktor 3-6 erhöht. Heute verwendet man die perkutane Strahlentherapie vor allem bei Glaskörperaussaat, Metastasierung oder wenn sich eine Chemotherapie als unwirksam oder unverträglich erwiesen hat. Mögliche Nebenwirkungen sind strahlungsbedingte Schädigungen der Bestandteile des Auges wie der Netzhaut (Strahlenretinopathie), des Sehnerven (Strahlenopticusneuropathie und Opticusatrophie), der Linse (Strahlenkatarakt) oder Tränendrüse sowie Störungen des Knochenwachstums.


Eine adjuvante (unterstützende) Chemotherapie wird in erster Linie nach einer Enukleation durchgeführt, wenn eine Metastasierung vorliegt und Tumorzellen in Vorderkammer, Iris oder Aderhaut oder im entfernten Sehnerv gefunden wurden.
Bei der Chemoreduktion werden große Tumoren im vorderen Teil des Auges durch eine Chemotherapie verkleinert, bevor sie mit lokalen Therapien (Brachytherapie, Laser- oder Kryokoagulation) weiter behandelt werden.
Eine Hochdosis-Chemotherapie wird nur bei starker Metastasierung mit schlechter Prognose durchgeführt.
In zunehmendem Maße wird eine lokale Applikation von Chemotherapeutika direkt in die Augenarterie (A. ophthalmica) angewandt. Dadurch werden systemische Nebenwirkungen vermindert.
Neben den üblichen Nebenwirkungen einer Chemotherapie ist das Auftreten von Chemotherapie-Resistenz problematisch, durch die der Tumor nach einer Weile das Wachstum wieder aufnimmt.


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